laut.de-Kritik
Warum grollt es so laut, wo der Himmel so dunkel ist?
Review von Yannik GölzEs ist nicht so, als täte ich mich mit dem technischen Spektrum der extremen Metal-Musik per se schwer. Selbst das super-dissonante Zeug ist ein bisschen wie kalt Duschen: Wenn man sich drunterstellt, haut es einem kurz in die Fresse, aber sobald man erst einmal steht und das Wasser läuft, denkt man sich: Huh, gar nicht so dissonant, der Extreme Technical Death Murder Noise Metal. Guck mal, da war hier gerade sogar eine Melodie! Und den Takt da konnte ich sogar mitzählen (glaube ich)!
Die Schwierigkeit mit diesen Genres besteht für mich darin, verschiedene Artists auseinanderzuhalten. Klar, dafür haben viele von denen Gimmicks. Und ich raff das ja auch an den Tracktiteln und Covern: Da sind Wikinger! Da sind Cowboys! Da ist Lovecraft! Nur in der Musik ist es dann doch Mal für Mal wieder so, dass die Gitarren und Drums im 19-55tel-Takt Briuaammm-Düdel-Ding-Dong-Kläng mit einem (1) Zusatzinstrument nach Wahl spielen und ein Typ im Hintergrund unverständliches Zeug brüllt. Egal, ob es gerade um Herr der Ringe oder die Geschichte der Waschmaschine geht, in deren Schleudergang man die Kickdrum geworfen hat.
Worauf ich hinauswill: Als ich Hoplites das erste Mal gesehen habe, fand ich das Cover zwar ganz cool, aber so richtig überzeugt war ich nicht. Nicht nur, weil es dieses griechische Gimmick gibt, sondern bei aller Liebe: Griechische Mythologie ist doch wirklich Babys erste Geschichts-Nerderei, und Hopliten? Bruder, bitte, ich habe auch Age of Mythology gespielt, da wäre doch etwas mehr gegangen. Aber "Paramainominae" dann doch eine Chance gegeben zu haben, war eine absolut richtige Eingebung. Dieses Album mit seinem griechischen Namen, den griechischen Buchstaben und dem griechischen Ding, stammt – selbstverständlich – aus der Feder einer chinesischen Ein-Mann-Technical Death Metal-Band. Und es hat es absolut in sich.
Fangen wir mal mit dem Gimmick an. Zum Glück macht Hoplites nicht Zack Snyder-300-Kitsch oder Sabaton-ich-habe-den-Wikipedia-Artikel-von-ein-paar-Historischen-Schlachten-quergelesen-Blödsinn. Auf "Paramainominae" stellt eher in Frage, warum wir Popkultur damit durchkommen lassen, dass griechische Mythologie in dieses Licht der Wiege der Demokratie gerückt wurde und unser Popkultur-Vokabular nur aus super-glanzvollen Schlachten mit superbuffen Typen und ein paar philosophierenden Atzen auf der Agora besteht. Dieses Album argumentiert: Das alte Griechenland war spooky wie sonst was, und es gibt unergründlich zu wenig Horror und Black Metal über eine Zeit, in der Leute wie Fliegen gestorben sind, Geschichte noch nicht erfunden war und man hinter jedem Busch nicht nur erwarten muss, von einem Wolf zerfleischt zu werden, sondern auch unergründlich horny Götterväter warten könnten, deren einzige religiöse Rolle es ist, Frauen zu verschleppen.
Vielleicht projiziere ich das alles in dieses Album hinein, aber es hat doch in seiner Stunde Laufzeit eine bestechend kohärente Spannungskurve in seiner nackten, archaischen Brutalität. Das eine Bonusinstrument hier ist zum Beispiel das Saxophon, und dessen schrille, aber rituelle Klangdimension, die hier genutzt wird, ist oft das einzig melodische Element, das seinen Weg in die wogenden, donnernden Metal-Technik-Mosaike findet. Aber wie es das tut! "Paradeigmatizomenae Mousikae" zum Beispiel lässt nur kurz das Horn aufblitzen und damit aber sofort eine stimmungsvolle und transzendente Lichtwoge durch den Gewitterhimmel über dem Olymp zucken.
Es sind diese kleinen Anflüge von Proggigkeit im Auge des Sturm dieses dissonanten Getöses, die dem Album einen rituellen und geladenen Charakter geben. Zum Beispiel auf "Summaenomenai Dionousou Eleuteriou", wo sich eine der körperlichsten Aneinanderreihungen von Staccato-Prügelstößen aneinanderreiht, bevor um die Fünfminutenmarke der Song verraucht und ein dissonantes, unweltliches Klavierspiel den Moment unterbricht, bevor die Band und das Saxophon für eine animalische Stampede zurückkehren.
Da ist Horror in dieser Platte, aber kein in Gimmicks oder Geschichten grundierter Horror, sondern ein tierischer Horror, ein Ich-verstehe-die-Welt-nicht-Gefühl, ein warum-grollt-der-Himmel-so-dunkel-Gefühl. All diese Songs sind kleine Päckchen Fight-or-Flight-Antwort auf die Absurdität der Welt, gerahmt in einer Zeit, in der der Mythos und das Göttliche, das Kreatürliche und das Furchtbare noch einen ganz gewöhnlichen Platz am Esstisch der Menschen einnehmen durften.
Das ganze Album arbeitet indes auf das Finale der letzten beiden Songs hin, die beide Seiten der Platte jeweils für sich kondensieren. "Summaenomenai Dionousou Eleuteriou" (aus irgendeinem Grund trotz des selben Namens Track 5 und nicht Track 4, Anm. d. Red.) baut diese tödich aggressiven Staccato-Passagen auf, die wohl den direktesten Headbanger des Albums hermachen und vielleicht auch das einprägsamste musikalische Motiv. Wenn darauf im Endteil noch einmal ganz klassisch und konventionell gerifft wird, dürfte das eigentlich jeden Genre-Enthusiasten vereinnahmen.
Abgeschlossen wird dann mit dem kurz gefassten Dionysien-Äquivalent zu Burzums "Rundgang um die Transzendentale Säule der Singularität": Mit Zupfinstrumenten baut auch Hoplites hier ein Stück enigmatischer, ungreifbarer Tribal Ambient-Stimmung auf, die klingt, als würde man verloren im Meer treiben oder den dritten Tag durch die Berge Delphis wandern. "Paramainomenae" ist eine triumphale Verbindung aus diesen unorthodoxen Impulsen zu weltabgewandter, ritueller, archaischer Atmosphäre auf der einen Seite und körperlicher, ekstatischer Gewalt auf der anderen. Wer weiß, ob sich das alles auf dieses alte Griechenland-Gimmick beziehen muss, Fakt ist, dass es großartig damit greift und damit etwas tut, was Metal-Gimmicks leider oft nicht schaffen: Es fügt seinem inspirierenden Ausgangsmaterial eine Facette zu, die popkulturell so bisher nicht so richtig existiert hat. Dieses Album würde man mit keinem anderen verwechseln.